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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 13.05.2003
Aktenzeichen: 3 Ws 292/03
Rechtsgebiete: StVollzG
Vorschriften:
StVollzG § 29 I 1 |
2. § 29 I 1 StVollzG erlaubt deshalb auch keine Kennzeichnung von Verteidigerpost zum Zwecke der Vermeidung ihrer missbräuchlichen Verwendung durch den Gefangenen in der Weise, dass das Sichtfenster des Briefumschlages herausgeschnitten und durch die entstandene Öffnung im Adressfeld der Sendung ein Stempel der Justizvollzugsanstalt aufgebracht wird.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS
3 Ws 292/03 (StVollz)
Entscheidung vom 13. Mai 2003
In der Strafvollzugssache
wegen Kontrolle von Verteidigerpost
hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Rechtsbeschwerde des Leiters der Justizvollzugsanstalt B. gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Gießen vom 13.1.2003
am 13. Mai 2003 einstimmig
beschlossen:
Tenor:
1. Die Rechtsbeschwerde wird auf Kosten der Staatskasse, die auch die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Strafgefangenen zu tragen hat, mit der Maßgabe verworfen, dass der angefochtene Beschluss folgende Fassung erhält:
Es wird festgestellt, dass die am 26.8.2002 erfolgte Öffnung eines Briefes des Verteidigers des Gefangenen durch Heraustrennung des Sichtfensters und Stempelung des Briefes im Adressfeld rechtswidrig war.
Die Anstalt wird verpflichtet, künftig das Heraustrennen des Sichtfensters und die Stempelung des Adressfeldes bei Verteidigerpost des Gefangenen zu unterlassen.
2. Der Gegenstandswert wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren auf 500 ? festgesetzt.
Gründe:
Der Strafgefangene verbüßt mehrere Gesamtfreiheitsstrafen in der JVA B.. Am 26.8.2002 wurde ihm eine durch Aufdruck des Stempels des Anwaltsbüros auf dem Umschlag sowie durch Angabe von Name und Adresse des Verteidigers als Absender in dem durch das Sichtfenster lesbaren Adressfeld als Verteidigerpost gekennzeichnete Postsendung ausgehändigt. Bei dem Brief war das Sichtfenster des Umschlages herausgeschnitten und durch die hierdurch entstandene Öffnung auf das Adressfeld des Briefes der Eingangsstempel der Anstalt aufgebracht worden. Zuvor hatten Bedienstete der JVA den Brief geröntgt und den Briefumschlag mit einen weiteren Stempelaufdruck "geröntgt ohne Beanstandungen" versehen.
Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung wendete sich der Gefangene gegen die seiner Ansicht nach in dieser Vorgehensweise der Anstalt liegende Überwachung seiner Verteidigerpost und rügte das Röntgen, Ausschneiden des Sichtfensters und Stempelung des Adressfeldes als rechtswidrig. Er beantragte, "die Rechtswidrigkeit festzustellen und die Vollzugsbehörde anzuweisen, die rechtswidrige Vorgehensweise sofort zu unterlassen".
Die JVA begehrte die Zurückweisung des Antrags. Sie nahm Bezug auf einen Erlass des Hessischen Ministerium der Justiz vom 21.6.2002 und trug vor, Anlass für ihre nunmehrige Praxis der Kontrolle der Verteidigerpost sei ein Vorfall in der JVA D. gewesen. Dort sei es einem Gefangenen gelungen, dadurch Drogen in die Anstalt einzuschmuggeln, dass er einen an ihn gerichteten Verteidigerschriftsatz mit Absenderangabe, die bei Verwendung eines Umschlags mit Sichtfenster in diesem Fenster lesbar war, an einen Dritten außerhalb der Anstalt versandt und dieser die erste Seite des Schriftsatzes in einen mit Sichtfenster versehenen Briefumschlag eingelegt habe, in welchem sich auch die Drogen befunden hätten. Sie behauptete, weder durch das Heraustrennen des Sichtfensters, noch durch das Röntgen könne Einsicht in das geschützte Schreiben genommen werden.
Die Strafvollstreckungskammer hat nach Beweisaufnahme mit dem angefochtenen Beschluss "festgestellt, dass die Praxis der Antragsgegnerin, bei Verteidigerpost das Sichtfenster des jeweiligen Umschlages herauszuschneiden und auf die Anschrift einen Eingangsstempel zu setzen, rechtswidrig" sei. Was das Röntgen der Verteidigerpost betrifft, hat die Kammer den Antrag des Gefangenen -was allerdings nur in den Gründen, nicht auch im Tenor des angefochtenen Beschlusses Ausdruck gefunden hat- als unbegründet verworfen.
Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und mit einer Verfahrensund der Sachrüge begründete Rechtsbeschwerde des Leiters der JVA, die dahin auszulegen ist, dass die Entscheidung nur insoweit angefochten wird, als sie die JVA beschwert.
Die Rechtsbeschwerde erfüllt die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 I StVollzG. Denn die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung ist, soweit sie beim Senat angefallen ist, zur Fortbildung des Rechts erforderlich. Obergerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Zulässigkeit der von der Anstalt gewählten Art und Weise der Kontrolle von Verteidigerpost ist - soweit ersichtlich - bisher nicht ergangen.
In der Sache führt das Rechtsmittel lediglich zu einer klarstellenden Korrektur des Tenors der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer.
Durch die von der Kammer gewählte Form des Tenors hat sie allerdings gegen den Verfügungsgrundsatz verstoßen. Der Strafgefangene hat bei verständiger Auslegung seiner Anträge lediglich begehrt, die Rechtswidrigkeit der Kontrolle seiner Verteidigerpost vom 26.8.2002 festzustellen. Gleichermaßen war sein Begehren auf künftige Unterlassung von Kontrollmaßnahmen lediglich darauf gerichtet, soweit sie ihm gegenüber Rechtswirkungen entfalten, das heißt seine Verteidigerpost betreffen, (vgl. zur Umfang der Anfechtbarkeit von Sammel- bzw. Allgemeinverfügungen auch Senat, Beschl. v. 16.4.2003-3 Ws 251-253/03 [StVollz]; Kopp, VwGO, 12. Aufl., § 42 Rn 170). Über dieses, auf die Geltendmachung eigener Rechte beschränkte Begehren des Gefangenen geht der Tenor in seiner allgemein gehaltenen, die Kontrollpraxis der Anstalt gegenüber allen Gefangenen erfassenden Formulierung hinaus.
In der genannten, auf die Geltendmachung nur seiner Rechte beschränkten Form war der Antrag des Gefangenen indes auch bezüglich des Unterlassungsbegehrens wegen der sich aus der Verteidigung der Kotrollpraxis durch die JVA ergebenden Wiederholungsgefahr zulässig (vgl. OLG Gelle, NStZ 1981, 250; Volckart, in: AK-StVollzG, 4. Aufl.,§109Rn31).
In dem Umfange, in dem der in vorerwähnter\Ne\se gekennzeichnete Verfahrensgegenstand beim Senat angefallen ist, nämlich Feststellung der Rechtswidrigkeit der Öffnung des Briefes vom 26.8.2002 über dem Adressfeld und dessen Stempelung sowie künftige Unterlassung dieser Maßnahmen (nicht auch des Röntgens) bei der Verteidigerpost des Gefangenen, erweist sich die Rechtsbeschwerde des Anstaltsleiters als unbegründet. Mithin hatte auf das Rechtsmittel hin lediglich eine Abänderung des Tenors der angefochtenen Entscheidung zu erfolgen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (seit Beschl. v. 24.4.1979 (ZfStrVo SH 1979, 46 ff.), der sich die übrigen Obergerichte -jedenfalls in Strafvollzugssachen (teilweise a.A. in einer Auslieferungshaftsache OLG Koblenz, NStZ 1982, 260)- angeschlossen haben (OLG Koblenz, NStZ 1986, 332; OLG Karlsruhe, StV 1987, 259; OLG Stuttgart, NStZ 83, 384 und NStZ 1991, 359 sowie OLG Bamberg, MDR 1992, 507) und der die Literatur ganz überwiegend gefolgt ist (vgl. nur Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 9. Aufl., § 29 Rn mwN auch zur Gegenmeinung), ist nach § 29 11 StVollzG jede Überwachung der Verteidigerpost, d.h. jede Kontrolle des gedanklichen Inhalts der Sendung unzulässig (vgl. insbes. OLG Stuttgart, NStZ 1991,359 [360] und OLG Karlsruhe, StV 1987, 259 [260]; s. auch Joester/Wagner, in: AK-StPO, § 29 Rn 8). Denn Sinn und Zweck des Überwachungsverbotes in § 29 I 2 StVollzG ist es, den unbefangenen Verkehr zwischen Gefangenen und seinem Verteidiger, d.h. ihren freien, vor jeder auch nur bloßen Möglichkeit einer Kenntnisnahme des Kommunikationsinhaltes durch Dritte geschützten Gedankenaustausch auf schriftlichem Wege zu gewährleisten (vgl. OLG Stuttgart ebenda). Verboten ist deshalb jedes- auch nur teilweises- Öffnen der Verteidigersendung, wenn nicht gänzlich auszuschließen ist, dass der Kontrollierende hierdurch bewusst oder unbewusst auch nur Bruchstücke des Textes wahrnehmen kann, so dass selbst die (teilweise) Öffnung der Verteidigerpost zur bloßen Feststellung der Absenderidentität oder die Kontrolle des Inhalt in Form einer groben Sichtung und eines Durchblätterns der Schriftunterlagen von dem Kontrollverbot umfasst ist (OLG Stuttgart, NStZ 1991, 359 [360]; OLG Koblenz, NStZ 1986, 332; OLG Karlsruhe, NStZ 1987, 259; OLG Bamberg, MDR 1992, 507). Zulässig ist ausschließlich eine Prüfung, ob überhaupt Verteidigerpost vorliegt, die sich auf nur äußere Merkmale beschränken darf (Senat, ZfStrVo SH 1979, 46 [47]; OLG Stuttgart, NStZ 1991, 359 [360]).
Dass bei der von der Anstalt praktizierten Form der Kontrolle die Möglichkeit einer Kenntnisnahme vom Inhalt (jedenfalls in Bruchstücken) besteht, hat die Strafvollstreckungskammer für den Senat bindend festgestellt. Die hiergegen erhobene Verfahrensrüge ist nicht ausreichend ausgeführt (§118112 StVollzG). Für die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs durch Übergehen von Parteivortrag fehlt es an der genauen Darlegung, in welchem Schriftsatz und wann der Strafvollstreckungskammer welches tatsächliches Vorbringen unterbreitet wurde. Für die Verletzung der Aufklärungspflicht ermangelt es an der Darlegung von Tatsachen, welche die Strafvollstreckungskammer zur weiteren Aufklärung hätten drängen müssen. Auch die Angabe von Beweismitteln, derer sich die Kammer hätte bedienen müssen, fehlt. Das Vorbringen in der Rechtsbeschwerde verhält sich im Übrigen nur zur Frage, ob eine Entnahmedes Schriftstückes aus dem Umschlag durch den hergestellten Ausschnitt des Sichtfensters möglich ist, nicht hingegen -wie es erforderlich gewesen wäre- zur Gefahr der Textwahrnehmung auch ohne eine solche Entnahme.
Im Übrigen ist allgemein und damit auch dem Senat bekannt, dass je nach Dicke des Papiers und Anzahl der eingelegten Blätter sowie der Nähe des Textes des Schriftstückes zum Adressfeld die Möglichkeit besteht, Bruchstücke von Worten des Textes auch ohne Entnahme des Schriftstückes bewusst oder unbewusst zur Kenntnis zu nehmen.
Mithin besteht auch dann die Gefahr einer unzulässigen inhaltlichen Überprüfung, wenn ausdrücklich angeordnet ist, dass der kontrollierende Beamte die Post nicht entnehmen und vom Inhalt der Post keine Kenntnis nehmen darf. Dass diese Gefahr ausreichend ist, um von einer unzulässigen Kontrolle der Verteidigerpost auszugehen, hat der Senat bereits in der Entscheidung vom 24. 4. 1979 (ZStrVo SH 1979, 46 ff.), der die Rechtsprechung der Obergerichte gefolgt ist (vgl. z.B. OLG Karlsruhe, StV 1987,259 ; vgl. auch OLG Stuttgart NStZ 1991, 359), festgestellt.
Der Senat verkennt nicht, dass die von der Anstalt apostrophierte Gefahr eines Missbrauches von Verteidigerpost durch den Gefangen durch deren Manipulation und "Wiederverwendung" durchaus besteht. Die Justizvollzugsanstalt verfügt jedoch über naheliegende andere Möglichkeiten, dem Missbrauch so weit als möglich zu begegnen. In Rechtsprechung und Literatur ist -wie bereits erwähnt- anerkannt, dass eine äußere Sichtkontrolle der Verteidigerpost erfolgen kann. Die Vollzugsbehörde braucht sich bei dieser keinesfalls nur auf den äußeren Schein -etwa die Absenderangabe eines Verteidigers- verlassen (Senat, ZfStrVo 1979 SH 1979, 46 [47f]). Vielmehr schließt die zulässige Kontrolle ein, den Umschlag zu stempeln, so dass dessen Wiederverwendung ausgeschlossen werden kann. Ferner muss sich der Verteidiger als solcher gegenüber der Anstalt durch die Vollmacht des Gefangenen oder seine Bestellungsanordnung durch das Gerichts ausgewiesen haben. Er ist überdies gehalten, die Verteidigerpost ausreichend zu kennzeichnen. Hierzu gehört nicht nur, dass er im sichtbaren Adressfeld des Briefes seine Absenderadresse wiedergibt. Vielmehr ist auch der Umschlag selbst als Verteidigerpost zu kennzeichnen. Erreicht mithin die Anstalt einen Brief ohne Kennzeichnung des Umschlages oder bestehen sonst begründete Zweifel an dem Vorliegen von Verteidigerpost, so kann die Anstalt beim Verteidiger Rückfrage halten und wenn keine ausreichende Abklärung erfolgt, die Sendung an den Absender zurücksenden. (Senat a.a.O., OLG Koblenz NStZ 1986,312).
Im übrigen erlaubt sich der Senat den Hinweis, dass die Herstellung eines Adressfeldes mit der Adressangabe des Verteidigers auf jedem handelsüblichen PC möglich ist, so dass erhebliche Bedenken bestehen, ob die von der Anstalt vorgenommene Stempelung des Adressfeldes geeignet ist, den befürchteten Missbrauch auszuschließen. Völlig zu Recht führt ferner die Strafvollstreckungskammer aus, dass die Vorgehensweise der Anstalt vom Erlass des Hessischen Ministerium der Justiz vom 21.6.2002 nicht gedeckt ist. Dieser basiert vielmehr ersichtlich auf der ständigen Rechtsprechung des Senats und der übrigen Obergerichte zur äußeren Kontrolle der Absenderidentität, schreibt er doch eine Kontrolle ohne jede Öffnung des Sendung vor und weist er für den Fall des Zweifels an der Identität des Absenders auf mit § 29 11 StVollzG zu vereinbarende Handlungsmöglichkeiten der Anstalt hin.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 121 IV StVollzG i.V. mit § 473 I StPO. Es erschien angemessen, den Gegenstandswert auch für das Rechtsbeschwerdeverfahren auf 500 ? festzusetzen (§§ 13,25,48a GKG).
Ende der Entscheidung
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